Zweite Welle Feminismus
Wenn vom „Zweite-Welle-Feminismus“ die Rede ist, geht es in der Regel um die Frauenbewegung, die in den 1960er Jahren Fahrt aufnahm. Während es in der ersten Welle des Feminismus mehr um grundlegende Themen der sozialen Gerechtigkeit ging, war die zweite Welle geprägt von Themen der Emanzipation und Selbstbestimmung.
Die Zweite Welle des Feminismus in der BRD war geprägt durch die westdeutsche Studierendenbewegung, die heute manchmal auch als „Die ‘68er“ bezeichnet wird. Die Student*innen-Proteste gegen den Vietnamkrieg oder die misslungene Entnazifizierung an den Hochschulen war häufig männlich dominiert. Sexismus war auch innerhalb linker, aktivistischer Strukturen an der Tagesordnung. Für Feminist*innen bedeutete das häufig, dass ihre Themen als „Nebensächlichkeiten“ behandelt wurden. Ab dem Ende der 1960er Jahre gründeten sich immer mehr autonome Frauengruppen, bei denen eine feministische politische Agenda und alternative Formen des (Zusammen-)Lebens im Mittelpunkt standen.
„Das Private ist Politisch“
mit diesem Statement, das gleichzeitig eine Forderung war, machten Feminist*innen der Zweiten Welle darauf aufmerksam, dass Themen der sexuellen Selbstbestimmung, der Familie und Kindererziehung keine Privatsache, sondern gesellschaftlich relevante Fragestellungen sind. Insbesondere in West-Berlin entstanden zahlreiche „Kinderläden“, die sich nicht nur vom autoritären Erziehungsstil freimachen wollten, sondern auch die Kinderbetreuung zur kollektiven Aufgabe machen. In der Theorie fanden auch die Männer in der Bewegung das Konzept gut, in der Praxis blieb die Reproduktionsarbeit aber überwiegend in der Hand der Frauen.
„Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine“
Schwangerschaftsabbrüche waren in Westdeutschland verboten. Bis zu fünf Jahre Haft standen auf eine illegale Abtreibung. Während in der DDR 1972 Abtreibungen in den ersten 12 Wochen legalisiert wurden (die ungewollt schwangere Person musste sich für ihre Entscheidung nicht rechtfertigen), gelang es in der BRD nicht, den Anti-Abtreibungsparagraphen aus den 1920er Jahren zu stürzen. Die Journalistin Alice Schwarzer landete einen medialen Coup, als sie für einen Artikel im Stern 374 Aktivistinnen und Prominente gewinnen konnte, die öffentlich erklärten „Wir haben abgetrieben“. Der Artikel erschien im Juni 1971 und war die deutsche Version einer ähnlichen Aktion in Frankreich. Der mediale Wirbel verhalf dem Kampf für die körperliche Selbstbestimmung zu einem Aufschwung, immer mehr Menschen schlossen sich den Forderungen an. Mit Aktionen wie „Mein Bauch gehört mir“ und Protestmärschen wurde schließlich ausreichend Druck aufgebaut, um zumindest eine Möglichkeit, eine legale und risikoarme Abtreibung zu erhalten, erreicht.
Sexuelle Selbstbestimmung
Nicht nur das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, auch die sexuelle Selbstbestimmung war ein wichtiges Thema der Frauenbewegung ab den 1960er Jahren. In Westdeutschland kam 1962 die „Antibabypille“ auf den Markt (in der DDR 1967) und verschaffte damit Frauen eine neue sexuelle Freiheit. Feminist*innen der Zweiten Welle begannen die heteronormative Sexualität zu hinterfragen, Selbsterfahrungsgruppen thematisierten sexuelle Unterdrückung und leisteten Aufklärungsarbeit durch z.B. Anleitung zur vaginalen Selbsterkundung. Lesbische Selbstermächtigung („Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus ist die Praxis“) war ebenso ein kontroverses Thema unter Zweite-Welle-Feminist*innen wie Pornografie und Sexarbeit.
Zweite Welle international
Nicht nur in der BRD erlebte die feministische Bewegung ab den 1960er Jahren einen Aufschwung. In den USA waren die emanzipatorischen Kämpfe eng mit der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung verbunden. Angela Davis wurde zum Symbol der Befreiungskämpfe Schwarzer Frauen. Sie machte immer wieder auf die Intersektionen von Unterdrückungsmechanismen aufmerksam. Während weiße Feminist*innen häufig einen bürgerlich-akademischen Hintergrund hatten und einzig die Unterdrückung auf Basis des Geschlechts thematisierten, waren für Angela Davis und andere Schwarze Feminist*innen neben patriarchaler, auch die rassistische Gewalt sowie der Kapitalismus Teil des Problems.
In Frankreich prägte Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“, das bereits 1951 erschienen ist, die Zweite Welle des Feminismus. Das Buch, das sowohl die herrschenden Geschlechterverhältnisse als auch die „natürliche“ Rolle der Frau als Mutter infrage stellt, wurde ab 1968 von Feminist*innen wiederentdeckt. Die zentrale These „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“ fand großen Anklang in der Bewegung.
Die Zweite Welle war keine homogene Bewegung
Während der Zweiten Welle des Feminismus veränderte sich gesellschaftlich viel, die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter, wie sie noch in der Nachkriegszeit dominierte, löste sich langsam auf. Feministische Literatur hatte zunehmend einen Markt, die Sprache veränderte sich, Frauenräume entstanden und alternative Lebens- und Beziehungsmodelle begannen sich zu etablieren. Doch auch, wenn „Die Frauenbewegung“ in der Rückschau häufig als geschlossen dargestellt wird, waren schon immer verschiedene Strömungen im Austausch miteinander bzw. im Streit. Radikalfeminist*innen, liberale Feminist*innen, sozialistische/marxistische Feminist*innen – sie waren und sind sich längst nicht in allem einig. In den USA verlief zudem eine Trennlinie zwischen Aktivist*innen des Black Feminism und weißen Feminist*innen, die den eigenen Rassismus nicht hinterfragen wollten.
Wenn heute jemand als „Zweite-Welle-Feminist*in“ bezeichnet wird, liegt dem in der Regel das Bild von weißen Feminist*innen der 1970er Jahre zugrunde, die sich für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung engagierten, aber die Perspektive nicht über den Tellerrand der eigenen Lebenswirklichkeit hoben. Die Weiterentwicklung der feministischen Bewegung zum Queerfeminismus, zu intersektionalen Perspektiven, die vor allem von Schwarzen Feminist*innen ab den 1980er Jahren thematisiert wurden, haben sogenannte „Zweite-Welle-Feminist*innen“ nicht mitgemacht. Sie verharren im binären Modell, in dem der Mann der Unterdrücker, die Frau die Unterdrückte ist. Andere Unterdrückungssysteme, wie Rassismus oder Cissexismus werden ausgeblendet oder als „Nebenthemen“ vom Feminismus abgegrenzt.
Links und Quellen
Geschichte des Feminismus (Heinrich Böll Stiftung)
Was ist Feminismus? (Gunda Werner Institut)